Schon als ich Solo* von Christopher Wurmdobler das erste Mal sah, dachte ich mir: Dieses Buch ist anders. Das Cover erinnert durch den Retro-Look an frühere Zeiten, Neon-Clubs und bunte Vögel. Tatsächlich spielt sich das Buch mitten in der Wiener Großstadt-Szene gebildeter Schwuler ab. Auch der Verlag war mir bis dato noch nicht bekannt. Der österreichische Czernin Verlag veröffentlicht viel im Bereich Wissenschaft und Kunst und hat es sich zur Aufgabe gemacht, durch die Behandlung von unbequemen Themen die Gesellschaft darauf aufmerksam zu machen.
Das Buch hat 248 Seiten, ist im Februar 2018 erschienen und kostet 20,00 €.
Kurzbeschreibung Inhalt
Ich muss mich vorab entschuldigen, dass ich an dieser Stelle ausnahmsweise keine eigene Inhaltsangabe schreibe; aber treffender als der Klappentext selbst hätte ich es tatsächlich nicht ausdrücken können:
Sie sind schwul, sehen gut aus und haben interessante Berufe. Sie leben ihr Leben in einer Welt zwischen abgedrehten Partys und bizarren Kunstevents, Konsum, Fitnesstraining und First World Problems. Aber irgendetwas funktioniert nicht mehr so wie früher …
David ist Mitte dreißig und Kinderarzt. Sein Freund ist etwas jünger, Architekt und hat das gemeinsame 200-Quadratmeter-Luxusloft geplant. Davids bester Freund Martin ist gerade fünfzig geworden und Landschaftsplaner. Dessen beste Freundin wiederum ist Bloggerin und selbst ernannte Schwulenmutti.
Außerdem gibt’s da noch Lena und Rita, die bald heiraten, Peter und irgendwie auch den jungen Ben. Doch dann verliebt sich die Schwulenmutti in einen Schwulen, David und sein Freund haben eine gröbere Beziehungskrise und die Hochzeit von Lena und Rita gerät zum perfekten Desaster.
© Czernin Verlag
Meine Meinung
Was sich anhört wie eine billige Soap ist, nun ja, zwar genau das, aber so viel mehr. Das Buch ist durchweg von so viel Ironie durchzogen, dass man sie anfangs fast übersieht und sich fragt, was man hier eigentlich vor sich hat. Der Schreibstil ist sehr vom Wienerischen geprägt und hat einen starken Erzählcharakter, was einem aber doch das Gefühl gibt, mitten dabei in diesem kunterbunten Hühnerhaufen zu sein. Aber beginnen wir mal von vorn.
»Solo« verläuft nach keinem klassischen Spannungsbogen. Es erzählt aus wechselnden Sichtweisen das Leben der Hauptcharaktere, die alle irgendwie im selben Freundeskreis stecken oder die durch Überschneidungen etwas miteinander zu tun haben. Dabei sind alle Personen irgendwie queer, sie leben in ihrer Blase, bekommen kaum etwas vom Leben derer mit, die sich nicht darin bewegen. Der Autor lässt sehr stark die Wienerische Umgangssprache einfließen, die mir das Reinkommen anfangs etwas schwer machte, der Story aber dafür sehr viel Authentizität verleiht. Wie kann es sein, dass ich meine, die Wiener Szene nun bestens zu kennen, obwohl ich sie nicht im Geringsten selbst erlebt habe?
Wenn man sich irgendwann in diesen teils etwas derben Dialekt eingelesen hat, kommt man aus dem Lachen allerdings kaum noch heraus. Christopher Wurmdobler zieht Klischees durch den Kakao, dass es kracht. Dabei meine ich nicht nur die Klischees, die Menschen über Homosexuelle haben, sondern vor allem die, wie sich die großstädtische Gesellschaft heutzutage verhält. Eine vegane Food-Bloggerin, die sich heimlich Fleischkäse in den Mund stopft, minutenlanges Posieren vor dem Smartphone, um den besten Winkel für Instagram zu erwischen à la »Soll ich dich fotografieren?«, »Nein, sonst ist es ja kein Selfie!«, hat nicht überhaupt jeder ein Profil auf Grindr, und ein Power-Eventmanager-Lesben-Duo, für die ihre Hochzeit zum größten Projekt der Karriere wird und der eigentliche Sinn dahinter mal kurz verloren geht. Und bevor ich’s vergesse: Schwule feiern die besten Partys. Ach ja? Na ja, vielleicht ein bisschen… Das alles sind nur Beispiele für den trocken komischen Erzählstil, der mich hat Tränen lachen lassen, auch wenn er eben gewöhnungsbedürftig ist. Einen kleinen Einblick in den Schreibstil erhaltet ihr im Buchtrailer, den ihr am Ende des Beitrags findet.
Man könnte meinen, durch diesen Soap-Charakter blieben die Charaktere oberflächlich und farblos, doch das ist hier in keinster Weise der Fall. Jede Person gewinnt man auf gleiche Weise lieb, da sie all das echte Leben in sich tragen, das uns auch in unserem eigenen alltäglichen Leben begegnen könnte, wenn wir nur die Augen dafür öffnen.
Ist man zuerst der Meinung, einen wenig anspruchsvollen Unterhaltungsroman vor sich zu haben, fällt einem irgendwann der satirische Unterton schnell wie Schuppen von den Augen. Ich meine irgendwo gelesen zu haben, dass Christopher Wurmdobler der Meinung war, dass es genug problembehaftete Romane über Homosexuelle gibt und dass dringend etwas her musste, das sich selbst nicht zu ernst nimmt und dass Schwule, genau wie alle anderen Menschen auch, nicht mit ihrer Sexualität zu kämpfen haben, sondern sich allenfalls selbst in die Quere kommen. Dem kann ich absolut zustimmen; es wurde Zeit für eine blöde, ehrliche, (un)komplizierte Darstellung des schwulen Wiener Großstadtlebens.
Fazit
Wenn auch Christopher Wurmdoblers Solo* sicherlich Geschmackssache ist, hat der Autor damit bewiesen, dass sich die sogenannte LGBT-Community wunderbar selbst auf die Schippe nehmen kann und die restliche Gesellschaft dabei mitzieht. Er hat damit urkomisch satirische Unterhaltungsliteratur geschrieben und nimmt sich dabei selbst nicht zu ernst. Ich bin mir sicher, dass seine direkte Art nicht jedem zusagt; wer aber weiß, dass unsere Welt bunt ist und bereit ist, auch über sich selbst zu lachen, dem kann Solo* ein paar unterhaltsame Lesestunden bescheren.
Humor: ●●●●●
Anspruch: ●●○○○
Spannung: ●○○○○
Liebe: ●●○○○
Erotik: ●○○○○
Originalität: ●●●○○
Buchtrailer
Weitere gern gelesene Eindrücke dazu:
Kennt ihr weitere Rezensionen zu diesem Roman? Ich habe noch keine Blogeinträge dazu gefunden und freue mich über Anregungen!
Eure Hannah 🙂
[…] Solo – Christopher Wurmdobler: 3 Punkte (HC+ Rezi-Bonus) (m/m) […]
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Ich hatte von dem Buch noch nichts gehört, aber es klingt auf jeden Fall interessant. Wobei ich fürchte, dass der Wiener Dialekt mich am Anfang verwirren könnte 😅.
LG und danke für die Rezension
Elisa
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Liebe Elisa,
der Dialekt ist anfangs wirklich etwas verwirrend, man gewöhnt sich aber recht schnell dran. 🙂
Liebe Grüße, Hannah
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