Wer fühlt sich nicht angesprochen von einem Buchcover, das zwei Menschen zeigt, die Kopfüber in das klare Wasser eines Sees springen, umgeben von Bergen und Bäumen, das einfach nur nach Freiheit schreit? Genauso hat mich dieses Buch gecatcht, obwohl der Titel Im Wasser sind wir schwerelos* schon erahnen lässt, dass es hier um mehr als einen unbeschwerten Sommer geht, dass sich eine melancholische Schwere dahinter verbirgt, vor der es zu fliehen gilt. Die Geschichte ist der Debütroman des deutsch-polnischen Autors Tomasz Jedrowski und wurde bereits im englischsprachigen Raum sehr gelobt. Das Buch ist im März 2021 im Hoffmann und Campe Verlag erschienen, hat 224 Seiten und kostet 23,00 €.
Kurzbeschreibung Inhalt
Das Buch spielt im Polen der 80er, zu einer Zeit, in der die Revolution und das Aufbegehren gegen das kommunistische System Fahrt aufnehmen. Ludwik und Janusz verlieben sich ineinander, als sie bei einem Ernteeinstatz aufeinandertreffen. Sie verbringen eine Zeit an einem abgelegenen See, schwimmend, zeltend, liebend – unbeschwert. Als sie wieder zurück in der Stadt sind, ist klar: Ihr Verhältnis muss ein Geheimnis bleiben, denn offen gelebte Homosexualität ist ein Tabu und keine Option. Während Ludwik zunehmend gegen die Unterdrückung des Systems rebelliert, beugt sich Janusz seinem Leben, indem er eine Karriere im Zensurbüro beginnt. Obwohl die beiden zusammengefunden haben durch das Buch Giovannis Zimmer von James Baldwin, ein Roman, der in Polen verboten ist.
Meine Meinung
Allein der Schreibstil des Autors zieht mich in seinen Bann. Tomasz Jedrowski schreibt, als hätte er nie etwas anderes getan, als hätten die Worte geduldig in ihm gewartet, bis er sie endlich zu Papier gebracht hat. Das ist nicht, was ich von einem Erstlingswerk erwarten würde. Er schreibt poetisch, dabei nie kitschig, zärtlich berührend und gleichzeitig aufwühlend. Viel zu oft habe ich mich dabei erwischt, wie ich den Protagonisten Ludwik einfach nur in den Arm nehmen wollte und ihm Mut zusprechen, dass er seinen Weg gehen wird.
Auf der einen Seite erleben wir den Beginn einer Liebe zwischen zwei jungen Männern in einer Umgebung, die sie nicht annimmt. Dadurch findet sie nur im Verborgenen statt, lässt die Intensität wachsen und das Bedürfnis, etwas Wahrhaftiges schützen zu wollen. Auf der anderen Seite ist es gerade der politische Hintergrund, der droht, ihre Verbindung zu entzweien, da die gleichgeschlechtliche Liebe im System nicht existieren darf. Während in Ludwik ein immer größerer Wunsch nach Aufbegehren entsteht, sich gegen das System und für seine Freiheit einzusetzen, schreit in Janusz alles nach Anpassung. So kommt es auch, dass Janusz sich mit Hania, der Tochter eines politisch einflussreichen Mannes einlässt, um seine Existenz im System zu sichern. Hin- und hergerissen zwischen unterdrückter Liebe und dem Bedürfnis nach Selbstbestimmung wird Ludwik klar, dass er sich irgendwann entscheiden muss.
Was ich sehr mochte waren die Referenzen zu James Baldwins Roman Giovannis Zimmer. Es ist ein Buch, das im kommunistischen Polen verboten ist und das Ludwik deshalb zwischen andere Buchdeckel geklemmt hat, um es unbemerkt lesen zu können. Dieses Buch sorgt auch für die erste intensivere Annäherung zwischen Ludwik und Janusz. Doch so deutlich die Parallelen im Bereich der Liebesbeziehung sind, so sehr fallen sie Ludwik auch darin auf, dass er sich nicht vom System unterdrücken lassen möchte. Dass er nicht derjenige ist, der es dem Protagonisten gleichtun und seine eigene Identität verraten will.
Auch wenn Im Wasser sind wir schwerelos* als Liebesroman beschrieben wird, spielt der kommunistische Hintergrund und die Selbstfindung Ludwiks in meinen Augen eine viel größere Rolle. Da ich mich bisher kaum mit der polnischen Politik überhaupt bzw. mit der der 80er Jahre im Besonderen beschäftigt hatte, hat mich dieser Aspekt der Geschichte deutlich mehr mitgenommen als die Liebesgeschichte selbst. Es erwartet euch hier also keine leichte Sommerlektüre, sondern ein immer noch aktuelles politisches Thema, das von einer Liebesgeschichte begleitet wird. Noch immer ist Queerness in Polen keine Selbstverständlichkeit; in Sachen Akzeptanz ist da noch viel Luft nach oben. Und genau deshalb sehe ich die Sichtbarkeit, die dieses Buch geschaffen hat, als unglaublich wichtig für eine bessere Zukunft, in der wir freier leben können.
Fazit
In Im Wasser sind wir schwerelos* findet sich keine leichte Sommerlektüre und passt doch wunderbar in diese Zeit. Die unbeschwerte Zeit von Ludwik und Janusz am See ist das Futter, das Ludwik braucht, um sich gegen das System und für seine Freiheit zu einzusetzen. Die Geschichte ist politischer als erwartet; sie gibt Einblicke in des kommunistische Polen der 80er Jahre und macht darauf aufmerksam, dass sich dieser Geist der Vergangenheit bis heute in Polen hält. Sie zeigt, dass nur wir selbst entscheiden können, was uns unsere Freiheit und unser selbstbestimmtes Leben wert ist. Definitiv ein Buch, das zum Nachdenken anregt und dabei noch erstklassig geschrieben ist.
Humor: ●○○○○
Anspruch: ●●●●○
Spannung: ●●●○○
Liebe: ●●●○○
Erotik: ●●○○○
Originalität: ●●●○○
Weitere gern gelesene Eindrücke dazu:
Das Buchzuhause* • NDR* • taz*
Eure Hannah 🙂
Ich finde es interessant, dass der deutsche Verlag diesen Titel gewählt hat. Heißt es im Original nicht so ähnlich wie „In dark water“? Was erst einmal eine ganz andere Grundstimmung an die lesende Person vorgibt.
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„Swimming in the dark“ – oft gefällt mir der englische Titel besser, aber in diesem Fall fand ich beide gut. Obwohl die Dunkelheit das Düstere mehr betont, während die Schwerelosigkeit die Unentschlossenheit, die Unklarheit spiegelt …
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