Someone New Cover (© LYX Verlag)

[Rezension] Someone New von Laura Kneidl

Ich finde, nach der Erscheinung sind genug Wochen vergangen, um gefahrlos über den großen »Spoiler« zu sprechen, der sich hinter Someone New* von Laura Kneidl verbirgt. Vermutlich hätte ich das allerdings zu jeder Zeit getan, denn zumindest glaube ich, dass die Rezensionen auf diesem Blog hauptsächlich von queeren Menschen gelesen werden oder nicht-queeren Menschen, die gezielt nach queeren Charakteren in Büchern suchen oder denen Diversität wichtig ist. Das heißt so viel wie: Solltet ihr vor dem Lesen nicht wissen wollen, inwiefern dieses Buch thematisch queer ist, dann lest an dieser Stelle bitte nicht weiter. Wenn euch im Gegensatz dazu die LGBT+-Thematik auf irgendeine Weise wichtig ist und ihr wissen wollt, ob das Buch für euch interessant sein könnte, möchte ich euch im Folgenden die Besonderheiten und nicht-Besonderheiten dieses Buchs vorstellen, ohne zu viel zu verraten. Es ist im Januar 2019 im LYX Verlag erschienen, hat 534 Seiten und kostet 12,90 €.

Kurzbeschreibung Inhalt

Micah beginnt ihr Jurastudium und muss prompt feststellen, dass ihr neuer Nachbar ausgerechnet derjenige gutaussehende Julian ist, der kürzlich durch sie seinen Job verloren hat. Von Schuldgefühlen und einer unerklärlichen Anziehung getrieben, versucht Micah ihm näherzukommen, doch Julians distanzierte Art macht ihr das gar nicht so leicht. Warum weicht er ihr ständig aus? Eine Leidenschaft für ihr Studium kann die Tochter reicher Anwälte kaum aufbringen, denn eigentlich würde sie viel lieber Kunst studieren. Stattdessen versucht Micah mit aller Kraft ihre Familie zusammenzuhalten, wodurch sie zugestimmt hat, später die Kanzlei zu übernehmen und versucht nach dem Rausschmiss ihres Zwillingsbruders aufgrund seiner Homosexualität den Erwartungen ihrer Eltern gerecht zu werden…

Meine Meinung

Die Transgender-Thematik

Bis dahin habe ich immer noch nicht mehr verraten als der Klappentext. Gleich bei der ersten Begegnung wird eine großflächige, verbrennungsähnliche Narbe auf Julians Unterarm erwähnt, die mich spätestens hätte wissen lassen, dass es sich bei Julians großem Geheimnis um seine Tanssexualität handelt. Julian wurde im Körper eines Mädchens geboren und hat sich vor einigen Jahren einer geschlechtsangleichenden Operation unterzogen, wodurch (korrigiert mich, wenn ich falsch liege) Haut und etwas Gewebe und Nerven seines Unterarms für die Phalloplastik verwendet wurde.

Menschen, die auf das Thema Transgender sensibilisert sind, werden vermutlich sehr früh beim Lesen wissen, worum es geht. Auch die Farben des Covers sind der Transgender-Flagge entnommen (hellblau-rosa-weiß-rosa-hellblau) und lassen dadurch eindeutige Schlüsse auf das Thema zu. Was ich an diesem Buch so spannend finde, ist das Genre. Nicht das Genre Transgender, denn Identitäten und Sexualitäten bilden kein eigenes Genre, sondern das Genre New Adult. Die klassischen New-Adult-Protagonisten setzen sich in der Regel aus einem heterosexuellen cis Bad Boy und einem heterosexuellen cis Normalo-Girl zusammen. Beide unglaublich schön und sexy. Queere Jugendliteratur nimmt langsam immer mehr zu; queere New Adult war mir bisher noch nicht begegnet (allerhöchstens im schwulen Bereich, doch das nennt sich dann Gay Romance) und schon gar nicht mit einem trans Mann als Hauptcharakter.

Wer keine Ahnung von der Trans-Thematik hat, wird dieses Buch genauso blauäugig lesen, wie sich die Protagonistin Micah verhält, und erst ganz zum Schluss verstehen, warum sich Julian so abweisend verhalten hat. Doch das ist überhaupt nicht schlimm und, wie ich vermute, genau der Plan der Autorin gewesen. Ich glaube, dass sie ganz dringend mehr Menschen, die mit realer Diversität noch nicht viel in Berührung waren, darauf sensibilisieren wollte, dass trans Männer unter uns leben und man sich in sie genauso verlieben kann wie in jeden anderen Mann auch. Dass sie genauso gutaussehend sein und anziehend wirken können. Dass LGBTQ+-Personen weniger häufig als »verrückt«, »anders« oder »pervers« abgestempelt werden, und dass besonders die Reaktion und Akzeptanz der eigenen Eltern sowohl viel zerstören, als auch viel Glück bescheren können. Diesen Grundgedanken von Laura Kneidl finde ich sehr lobenswert und ich freue mich darüber, dass sie ihre Reichweite dafür genutzt hat, die Akzeptanz der Gesellschaft für LGBTQ+-Personen zu stärken.

Was das Buch sonst ausmacht

Vielleicht interessiert euch an dieser Stelle aber auch, wie sich die Geschichte ganz abgesehen von der Trans-Thematik gelesen hat. Ich lese nicht viel New Adult, ab und zu allerdings schon, und zwar genau dann, wenn ich mich berieseln lassen und einfach aus meinem Alltag in eine andere Welt abtauchen möchte. Das klappt mit Someone New* wunderbar. Der Schreibstil liest sich meistens flüssig und oft ungeheur lustig. Die Protagonistin hat einen sehr trockenen, teils schwarzen Humor und lässt uns diesen sehr oft spüren. Sie hat eine charmante Art, die sich auf schmalem Grat zwischen hilfsbereit, liebenswert und aufdringlich bewegt, ist selbstbewusst und ist stolz auf das, was sie kann. Sie zeichnet Comics, ist ein kleiner Superhelden-Nerd und hat sich aus Umzugskartons eine Kartonfestung gebaut, in die sie gerne abtaucht.

Julian ist gutaussehend, beherrscht, unnahbar – Einzelgänger. Er hat mehrere Jobs, um sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen, studiert Architektur und wohnt neben Micah mit zwei sehr sympathischen Cosplay- bzw. LARP-Nerds, die in der Geschichte auch eine wichtige Rolle spielen. Bei Berührungen verkrampft er sich häufig, hat Angst vor Nähe und hat die Hoffnung aufgegeben, eine Frau und Partnerin zu finden, die ihn so akzeptiert und liebt, wie er ist. Seine Rekationen werden stets sehr sensibel beschrieben und ich konnte mich gut in ihn hineinversetzen.

Die Rahmenhandlung bildet Micahs Hadern mit ihrer Studienwahl, ihrem Verhältnis zu den reichen, hoch angesehenen Eltern, denen ihr konservatives Image sehr wichtig ist und bei denen sie wöchentlich zum Abendessen erscheinen muss (Gilmore Girls lässt grüßen) und ihrer Suche nach ihrem Bruder Adrian. Nachdem ihre Eltern Adrian mit einem anderen Jungen im Bett erwischt hatten, setzten sie ihn vor die Tür und ignorieren seitdem seine Existenz. Micah vermisst ihren Bruder sehr und macht sich Sorgen um ihn, da er seit dem Rauswurf komplett untergetaucht ist. Micahs Ohnmacht bei dem Versuch, ihre Eltern zur Einsicht zu bringen, ist deutlich spürbar. Allgemein kommen Eltern in dieser Geschichte nicht gut weg: Die Eltern ihrer besten Freundin Lily versuchen sie permanent dazu zu bringen, zu ihrem alten Gewicht vor der Geburt ihres Sohnes zurückzukommen und auch Julian wurde nach seinem Coming Out von seinen Eltern verstoßen. Wollte die Autorin damit bewusst dafür sorgen, dass Eltern zukünftig sensibler auf Coming Outs ihrer Kinder reagieren?

Insgesamt hat mich das Buch sehr gut unterhalten, ich hatte Schmetterlinge im Bauch und konnte den Alltag für den Moment vergessen. Es liest sich leicht und locker und ist eine nette Lektüre für Zwischendurch. Das Buch selbst finde ich nicht herausragend, aber durchschnittlich gut. Es ist ein weiterer, wichtiger Meilenstein in der diversen Repräsentation in der Literatur und gewinnt durch die Thematik an Bedeutsamkeit. Laura Kneidl scheint sich sehr intensiv mit der Thematik auseinandergesetzt und recherchiert zu haben. Ein großes Lob geht auch an den Verlag, der sich für Transgender-Repräsentation im heteronormativ geprägten Genre New Adult stark gemacht hat.

Fazit

So oft habe ich als Stimme von Lesern gehört, das Buch sei »so wichtig«. Das ist es ohne Zweifel. Ich freue mich, dass sich trans Personen zum einen in diesem Buch repräsentiert fühlen können und zum anderen Menschen, die damit kaum oder noch keine Berührungspunkte hatten, dafür senisbilisert werden und LGBTQ+-Personen irgendwann vollständig als normal betrachten. Die Geschichte reißt mit, ist unglaublich humorvoll und charmant und lässt einen für einige Zeit aus dem Alltag abtauchen. Auch wenn es für mich eher durchschnittlich und abgesehen von der Transgender-Thematik wenig herausragend war, kann ich das Buch jedem ans Herz legen, der gern leichte Liebesgeschichten liest und dem bestenfalls Diversität in Büchern wichtig ist.

Da ich selbst keine persönlichen Erfahrungen im Transgender-Bereich habe, würde ich mich über eure Einschätzung freuen, wenn ihr das Buch schon gelesen habt. Findet ihr die Darstellung glaubwürdig und vor allem korrekt? Wie fühlt ihr euch repräsentiert?

Humor: ●●●●○
Anspruch: ●●○○○
Spannung: ●●●○○
Liebe: ●●●●●
Erotik: ●●●○○
Originalität: ●●●○○

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Eure Hannah 🙂

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8 Gedanken zu “[Rezension] Someone New von Laura Kneidl

  1. Ich muss eher gegen meine Meinung zum Verlag ankämpfen. Ich verbinde mit Lyx eher leichte Literatur, die sehr dicht am Trivialen vorbeischrammt. Wie seicht ist die Sprache? Ein FTM in meinem Bekanntenkreis fragte sich, ob die Autorin wirklich Gespräche mit Transmännern geführt hat und eine MTF empfand es als Schmonzette und meinte, dass die Konstellation des Romanes die leichtere Variante sei.

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    • Die Sprache ist auf jeden Fall sehr seicht, ich denke, das zeichnet das Genre New Adult aus. Es strengt nicht besonders an, es zu lesen und unterhält einen einfach. Nur eben mit dem Zusatz, dass Bezug auf die Themen Homosexualität und Transgender genommen wird, was in vergleichbaren Romanen nicht der Fall ist.
      Die Autorin hat soweit ich weiß in irgendeiner Form mit trans Personen zu tun und erwähnt auch in ihrer Danksagung einige Personen, denen sie für ihre Einblicke dankt. Für mich liest es sich so, als hätte sie sich intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt – genau wissen kann ich es allerdings nicht, da ich keine persönlichen Erfahrungen mit dem Thema habe.
      Man kann von dem Roman sicher keine anspruchsvolle Lektüre erwarten, so wie ich das bei der vorgeschlagenen Biografie von Robinet täte. Wenn du also nichts für triviale Liebesgeschichten übrig hast, dann ist „Someone New“ wahrscheinlich eher nichts für dich.

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  2. Es ist zwar nun schon länger her, dass die Rezension veröffentlicht wurde, aber ich will mal noch was dazu sagen, da ich das Buch anfing zu hören und dann ganz schnell aufgab und den Rest nur noch überflogen habe (da ich mir dummerweise auch noch das Taschenbuch gekauft hatte).
    Wenn Kneidl Recherche betrieben hat, dann nur oberflächlich und garantiert NICHT zur Situation von Transpersonen in den USA. Julians Werdegang ist ungeheuer unrealistisch. Jugendliche von 18 Jahren, die gerade zuhause rausgeworfen wurden, kein Geld und dementsprechend keine Krankenversicherung haben, können es sich nicht leisten, innerhalb von nur 3 Jahren Hormontherapie, Brustabnahme und auch noch Phalloplastik durchzumachen. Besonders die beiden OPs kosten mehrere 10.000 Dollar pro Eingriff – das übernehmen die wenigsten Krankenversicherungen in den USA und wie gesagt muss man erstmal eine haben – was sicher nicht unbedingt der Fall ist, wenn man drei Jobs braucht, um überleben zu können.
    Micahs Reaktion auf Julian mag zwar realistisch sein, ist aber der Albtraum vieler Transpersonen und wird leider vom Buch auch überhaupt nicht in Frage gestellt sondern als akzeptabel porträtiert.
    Zudem gab es keinen triftigen Grund für die Autorin, den Geburtsnamen Julians so stark in die Geschichte einzubinden, dass die Protagonistin eine ganze Weile nur noch an den denken konnte statt Julian als Julian zu betrachten.
    Dieses Buch kann man absolut niemandem empfehlen. Transmenschen kriegen das Gruseln und blauäugige Leser*innen denken, dass dieser Umgang mit einer Transperson akzeptabel ist.

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    • Hallo Alexander,
      vielen Dank für deinen Kommentar! Ich halte es für wichtig, auch die kritische Seite zu thematisieren und möglichen Leser*innen dadurch besser bei der Entscheidung zu unterstützen, ob sie das Buch lesen wollen oder nicht.
      Liebe Grüße, Hannah

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