Das Konsortium oder: Die ungenaue Zeit Cover (© Ueberreuter)

[Rezension] Das Konsortium oder: Die ungenaue Zeit von Martin Gries

Selten habe ich vor dem Lesen eines Buchs so wenig über dessen Queerness gewusst. Ich recherchiere normalerweise sehr sorgfältig, lese bei Übersetzungen Rezensionen in Originalsprache, um herauszufinden, wie Queerness in die Geschichte eingewoben und umgesetzt wird und daraus zu schließen, ob das Buch zu meinem Leseverhalten und natürlich zu queerBUCH passt. Bei diesem Buch hatte ich keine Ahnung, denn der Klappentext ist super kurz gehalten, weckte dadurch aber umso mehr mein Interesse. Diese Zusammenkunft zwischen dem Konsortium und mir war also ein Glücksspiel, und ich bin unglaublich froh, dass ich es versucht habe. Denn das Buch ist der Wahnsinn. Es ist im Februar 2020 im Ueberreuter Verlag erschienen, hat 384 Seiten und kostet 18,95 €.

Kurzbeschreibung Inhalt

Auszug aus dem Klappentext:

1. Gesetz: Die Leuchttürme gehören dem Konsortium. Wer sie nutzt, zahlt.
2. Gesetz: Die Sterne gehören dem Konsortium. Wer sie beobachtet, stirbt.
3. Gesetz: Die Zeit gehört dem Konsortium. Wer Zeit genau misst, stirbt.

Die Einhaltung der Gesetze kontrolliert das Konsortium genau und geht bei Verstößen radikal vor. So beginnt die Geschichte mit dem Tod des einen Vaters und der Verhaftung eines anderen. Sowohl Charles als auch Marietta besitzen etwas Verbotenes und müssen deshalb untertauchen und sich bedeckt halten. Beide haben ihre eigenen Geschichten, doch diese Geschichten verbinden sich irgendwann zu einer gemeinsamen. Können sie ihre Ziele erreichen und das Konsortium überlisten?

Meine Meinung

Das Konsortium oder: Die ungenaue Zeit* hat mich gepackt auf der dritten Seite, vollkommen hineingezogen auf der sechsten. Das Buch ist etwas Besonderes, das wahrscheinlich nicht jeden Geschmack trifft, denn man muss beim Lesen sehr viel mitdenken und zwischen den Zeilen lesen. Stilistisch ist der Autor äußerst treffsicher und weiß genau, mit welchen Worten er welche Vermutungen und Vorahnungen auslöst. Dadurch ist der Schreibstil in diesem Jugendbuch allerdings auch verhältnismäßig anspruchsvoll und besonders dann zu empfehlen, wen ihr beim Lesen gern gefordert werdet.

Für mich war die Geschichte von Anfang an eine Dystopie, denn sie spielt in unserer Welt, es gibt eine große Macht, die die Menschen klein hält und es gibt mehr, als es am Anfang den Anschein macht. Bis ich eines Besseren belehrt wurde: Es handelt sich nämlich um Steampunk. Wenn man dieses Genre nicht sowieso schon kennt und liebt, weiß man vielleicht nicht sofort etwas damit anzufangen. Kurzum: Die Welt ist in der Vergangenheit zu Zeiten der Dampfmaschine angesiedelt und spielt gleichzeitig in der Zukunft – nur eben vom Standpunkt der Vergangenheit aus betrachtet. Dabei ist es nicht die Technologie, die die Menschen beherrscht, sondern die Mechanik. Futuristsiche Objekte, die durch ineinander greifende Zahnräder und Dampf funktionieren, stehen an der Tagesordnung. So werden in dieser Geschichte Nachrichten über Lichtsignale übertragen, Menschen, Vieh und Waren in Dampfzügen transportiert und Objekte wie eine zu genaue Uhr werden zum Todesurteil für den Entwickler.

In dieser Welt begleiten wir Charles, der mit dem Sextanten seines Großvaters gemeinsam mit Joke den Sternen auf den Grund geht und Marietta, die mit der genauen Uhr, die ihr Vater gebaut hat, fliehen muss und versucht selbigen vor dem Tode zu bewahren. Auf ihrer Reise trifft sie auf Gerald, hinter dem sich eigentlich Geraldine verbirgt, die in der Gesellschaft lieber als Mann lebt. Mit der Zeit erfährt man, dass Marietta mehr an Frauen als an Männern interessiert ist, auch wenn das eine verhältnismäßig geringe Rolle spielt; denn für Marietta gibt es hier keine große Liebesgeschichte.

Was ich an diesem Buch am bemerkenswertesten finde ist, dass das Ende vor allem ein Anfang ist. Es hätte mich nicht gewundert, wenn es dir Auftakt einer Reihe wäre, allerdings ist das Ende auch geschlossen genug, um für sich allein zu stehen. Was das Konsortium unter Verschluss hält, wird nach und nach enttarnt. Jedoch beginnt er eigentliche Aufstand, die eigentliche Weiterentwicklung, erst nach der letzten Seite. Auch wenn die Figuren für den Moment ihren Weg gefunden haben, ein Ziel, das es zu erreichen gilt, legt das letzte Kapitel noch einmal ein ganz neues Ereignis offen, wodurch sich die Entwicklungen dramatisch beschleunigen und eine ganz neue Bedeutung erhalten könnten. Und diese Weitererzählung der Ereignisse findet nur in unseren Köpfen statt, weil wir das Ende so nicht als Abschluss stehen lassen können. Das ist genau das, was für mich herausragende Literatur ausmacht: Dass wir selbst dazu angeregt werden, Dinge weiterzudenken.

Fazit

Das Konsortium oder: Die ungenaue Zeit* ist ein anspruchsvolles Jugendbuch, das mich vollkommen begeistert hat. Man muss viel zwischen den Zeilen lesen, es lädt zum Mit- und Weiterdenken ein und wird deshalb allen, die sich sonst gerne von Geschichten berieseln lassen, nicht gefallen. Das Ende ist erst der Anfang, den wir anschließend ausführlich in unseren Köpfen weiterspinnen müssen. Die Geschichte liest sich für mich wie eine Dystopie – und das ist sie auch gewissermaßen – nur betrachtet aus der Vergangenheit. Denn Mechanik, Zahnräder und Dampfantrieb, spielen hier die Hauptrolle, es handelt sich also um Steampunk. Dass Marietta mehr an Frauen als an Männern interessiert ist, wird nach und nach deutlich, jedoch spielt es für die Handlung eine eher untergeordnete Rolle (so, wie es meiner Meinung nach häufiger sein sollte). Ebenso wird die Wahrnehmung der Geschlechterrollen thematisiert. Für mich ist dieses Buch ein wahres Highlight deutschsprachiger (queerer) Jugendliteratur!

Humor: ●○○○○
Anspruch: ●●●●●
Spannung: ●●●●○
Liebe: ●●●○○
Erotik: ●○○○○
Originalität: ●●●●○

Weitere gern gelesene Eindrücke dazu:

Janas.Booklove*LN online*

Eure Hannah 🙂

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3 Gedanken zu “[Rezension] Das Konsortium oder: Die ungenaue Zeit von Martin Gries

  1. […] Hannah von queerBUCH hat eine wunderschöne Rezension von „Das Konsortium oder die ungenaue Zeit“ geschrieben. Es war das kleine Highlight meines Tages, die zu lesen. Ein kleiner Vorgeschmack: „Das Konsortium oder: Die ungenaue Zeit* ist ein anspruchsvolles Jugendbuch, das mich vollkommen begeistert hat. Man muss viel zwischen den Zeilen lesen, es lädt zum Mit- und Weiterdenken ein und wird deshalb allen, die sich sonst gerne von Geschichten berieseln lassen, nicht gefallen. Das Ende ist erst der Anfang, den wir anschließend ausführlich in unseren Köpfen weiterspinnen müssen. Die Geschichte liest sich für mich wie eine Dystopie – und das ist sie auch gewissermaßen – nur betrachtet aus der Vergangenheit. Denn Mechanik, Zahnräder und Dampfantrieb, spielen hier die Hauptrolle, es handelt sich also um Steampunk. Dass Marietta mehr an Frauen als an Männern interessiert ist, wird nach und nach deutlich, jedoch spielt es für die Handlung eine eher untergeordnete Rolle (so, wie es meiner Meinung nach häufiger sein sollte). Ebenso wird die Wahrnehmung der Geschlechterrollen thematisiert. Für mich ist dieses Buch ein wahres Highlight deutschsprachiger (queerer) Jugendliteratur!“ Ganz könnt ihr die ausführliche Besprechung in Hannahs Blog lesen. […]

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  2. […] Es geht um Marietta, deren Vater verhaftet wird, weil er eine genau Uhr herstellen wollte. Und um Charles, der heimlich die Sterne beobachtet. Beide müssen fliehen und treffen aufeinander. Eigentlich klingt das für mich wie die beste Ausgangssituation für eine Liebe zwischen den beiden. Allerdings sind für dieses Buch die beiden Schlagworte »LGBT« und »Homosexualität« hinterlegt, weshalb wir davon ausgehen können, dass dem wahrscheinlich nicht so ist. Und der Rest? Klingt ziemlich abgefahren, wie ich finde. 🙂 Das Buch erscheint am 17. Februar im Ueberreuter Verlag, hat 384 Seiten und kostet 18,95 €. Inzwischen gelesen und rezensiert! […]

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  3. […] Das Konsortium oder: Die ungenaue Zeit hat mich total überrascht. Es ist ein anspruchsvolles Jugendbuch, bei dem man viel zwischen den Zeilen lesen, es lädt zum Mit- und Weiterdenken ein und wird deshalb allen, die sich sonst gerne von Geschichten berieseln lassen, nicht gefallen. Das Ende ist erst der Anfang, den wir anschließend ausführlich in unseren Köpfen weiterspinnen müssen. Die Geschichte liest sich für mich wie eine Dystopie – und das ist sie auch gewissermaßen – nur betrachtet aus der Vergangenheit. Denn Mechanik, Zahnräder und Dampfantrieb, spielen hier die Hauptrolle, es handelt sich also um Steampunk. Es geht um Charles und Marietta, die beide etwas Verbotenes besitzen und deshalb untertauchen und sich bedeckt halten müssen. Beide haben ihre eigenen Geschichten, doch diese Geschichten verbinden sich irgendwann zu einer gemeinsamen. Dass Marietta mehr an Frauen als an Männern interessiert ist, wird nach und nach deutlich, jedoch spielt es für die Handlung eine eher untergeordnete Rolle (so, wie es meiner Meinung nach häufiger sein sollte). Ebenso wird die Wahrnehmung der Geschlechterrollen thematisiert. Für mich ist dieses Buch ein wahres Highlight deutschsprachiger (queerer) Jugendliteratur! […]

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