Fünf Lieben lang Cover (© dtv Verlag)

[Rezension] Fünf Lieben lang von André Aciman

Von André Aciman haben wir in Deutschland vor der Verfilmung zu »Call me by your Name« vergangenes Jahr mit Thimothée Chalamet und Armie Hammer eine ganze Weile nichts gehört – nun ist sein neuer Roman Fünf Lieben lang* bei dtv erschienen. Wer meinen Blog schon eine Weile kennt, dem dürfte wahrscheinlich nicht entgangen sein, dass ich von seinem Roman Call me by your Name (Ruf mich bei deinem Namen) restlos begeistert war, weil er mir mit seiner wortgewaltigen Sprache und Intensität den Boden unter den Füßen weggezogen hat. Wie hätte ich da nicht zu seinem neuen Roman greifen können? 😀 Der Autor kommt übrigens im September nach Deutschland auf Lesetour – die Termine findet ihr auf der dtv-Website*, wenn ihr nach unten zu den Veranstaltungen scrollt.

Das Buch ist im August 2019 erschienen, hat 352 Seiten und kostet 22,00 €.

Kurzbeschreibung Inhalt

An fünf Lieben aus seinem Leben lässt uns Paul teilhaben. Es beginnt ganz unschludig, als er sich mit zwölf Jahren in den italienischen Tischler Giovanni verliebt, und seine Gefühle noch überhaupt nicht einordnen kann. Paul wird älter, verlässt die italienische Insel und lebt in New York. Sowohl Maud, Chloé als auch Manfred hinterlassen jeder für sich bleibende Spuren in Pauls Leben, das fortwährend voranschreitet und ihn letztendlich dorthinführt, wo er jetzt steht.

Meine Meinung

Fünf Lieben lang* liest sich völlig anders, teilweise sogar gegensätzlich zu Call me by your Name, wobei die Sprache unverkennbar aus derselben Feder stammt. Während wir es bei Zweiterem mit einer einzigen verzehrenden Liebe zu tun haben, die so kein zweites Mal im Leben zu finden ist, gibt uns André Aciman in seinem neuen Roman Einblick in fünf völlig unterschiedliche Formen der Liebe, die Paul in seinem Leben erfährt.

Fünf Variationen der Liebe, die jede für sich besonders ist: Unschuldige Liebe, die kaum als solche wahrgenommen wird und noch weit entfernt davon ist, vollständig begriffen, geschweige denn ausgelebt zu werden. Zufällige Liebe, die aus dem Moment heraus entsteht und sich fast unbemerkt einschleicht, doch nie die nötige Tiefe erreicht, um zu bleiben. Obsessive Liebe, die aus der Ferne keimt, ins Unermessliche wächst, fast ins Unangenehme kippt, vom dem man sich als Leser lieber distanziert und die wiederum droht zu verpuffen, sobald sie in greifbare Nähe rückt. Hoffnungslose Liebe, von Aciman Sternenliebe genannt, die fortwährend ist, immer wiederkehrend und doch nicht als tatsächliche Möglichkeit Bestand hat. Und am Ende sind es zwei Lieben, die aufkommen: Potenzielle Liebe, die für gescheitert erklärt wird, bevor sie überhaupt begonnen hat und von derjenigen Liebe überschattet wird, die bleibt, die dich immer wieder in die Arme schließt, dich auffängt und dir sagt: Ich bin dein Zuhause.

Das Buch Beginnt mit einem erwachsenen Paul, der auf die italienische Urlaubsinsel seiner Kindheit fährt, um die Überreste ihres bis auf die Mauern niedergebrannten Ferienhauses zu begutachten. Ein bisschen vielleicht auch um zu sehen, ob seine Kindheitsliebe noch dort ist. Am Ende des Buchs ist Paul in die Jahre gekommen, noch nicht alt, aber gereift, und ein anderer Mensch. Tatsächlich unterscheidet sich die Note der Sprache von Liebe zu Liebe so sehr, dass man nicht nur das Gefühl hat, in völlig unterschiedlichen Lebensphasen Pauls zu stecken, sondern als würde man fünf verschiedene Bücher lesen. Und doch ist und bleibt es Paul, der sich mit jedem Schritt weiterentwickelt und seinen Weg durchs Leben und die Liebe geht.

Ich fand diese Erzählart sehr erfrischend; es ist etwas Neues, das ich so noch nicht kannte. Das meiste steckt in Pauls Geschichte zwischen den Zeilen. Warum eine neue Liebe beginnt, warum eine alte Liebe endet, das erfahren wir fast nie direkt. Zwischen den fünf Geschichten liegen teils große Zeitsprünge, deren Lücken wir selbst füllen müssen mit Andeutungen, die gefallen sind, noch fallen werden und eigenen Gedanken, die die Entwicklung nachvollziehbar werden lassen. Der rote Faden der Geschichte besteht weitgehend aus der Liebe selbst, wodurch kein deutlicher Spannungsbogen entsteht, sondern sich ungleichmäßige Wellen durch die Zeit ziehen. Auf mich macht das Buch einen etwas anspruchsvolleren Eindruck als Call me by your Name, weshalb ich Fünf Lieben lang* nicht wie erhofft allen empfehlen kann, die auch ersteres Werk des Autors lieben. Es ist vor allem etwas für diejenigen, die gerne abtauchen in eine ganze L(i)ebensgeschichte, die keinem höheren Ziel folgt, sich jedes Mal neu mitreißen lassen möchten und dabei Wert legen auf eine volle, intensive, wortgewaltige, manchmal gewollt irreführende und vereinnahmende Sprache.

Sexualität fließt in sein Schreiben derart selbstverständlich mit ein, dass mir zu keiner Zeit direkt bewusst war, ein queeres Buch zu lesen. Sexualität wird nie benannt, aber nicht aus Scham, sondern weil es nicht notwendig ist. Sie wird von vorneherein für möglich erklärt und ohne Umschweife akzeptiert. Da Paul Beziehungen sowohl mit Männern als auch Frauen hat, würde ich am ehesten auf Bisexualität tippen – allerdings bleibt eine genaue Definition im Buch offen.

Fazit

Fünf Lieben lang* liest sich wie fünf verschiedene Bücher, ja fast wie fünf verschiedene Leben eines Mannes, der in jeder Liebe ein anderer zu sein scheint. Was wir von Aciman wiederfinden ist seine intensive und wortgewaltige Sprache, durch die er die größtmögliche Nähe zum Protagonisten Paul erzeugt. Die erste Geschichte erinnerte mich noch sehr an das Gefühl von »Call me by your Name«, wobei uns der Autor mit dem weiteren Verlauf zeigt, dass er mehr kann und es im Leben nicht nur die einzig wahre Liebe geben, sondern sie in vielen Nuancen auftreten kann: von der unschuldigen Kindheitsliebe über Gelegenheitsliebe, Obsession, hoffnungslose und verpasste Liebe hin zum sicheren Hafen. Sexualität ist dabei so selbstverständlich Teil der Geschichte, dass Pauls Liebe zu Frauen und Männern in keinster Weise als ungewöhnlich auffällt. Wer »Call me by your Name« wegen seiner alles verzehrenden Liebe mochte, könnte mit Fünf Lieben lang* seine Schwierigkeiten haben; wer sich allerdings besonders in Acimans außergewöhnlich bildhaften und intensiven Schreibstil verliebt hat, für den ist sein neues Werk genau das Richtige.

Humor: ●○○○○
Anspruch: ●●●●○
Spannung: ●●○○○
Liebe: ●●●●○
Erotik: ●●●○○
Originalität: ●●●○○

Weitere gern gelesene Eindrücke dazu:

Die lesende Käthe*Glimrende*Morgenschnecke*

Eure Hannah 🙂

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4 Gedanken zu “[Rezension] Fünf Lieben lang von André Aciman

  1. […] Hände hoch alle, die sich auf Fünf Lieben lang* von André Aciman stürzen werden, weil sie sich so sehr in Call me by your name verliebt haben! Na? Als ich von der Veröffentlichung erfuhr, schrie jede Faser meines Körpers einfach nur »JA!«. Wir begleiten Paul bei seinen Erfahrungen mit der Liebe zu Giovanni, zu Maud und Chloé und reisen dabei nach New York und in den Sommerurlaub nach Italien. Ich hoffe so, dass André Aciman uns nicht enttäuscht. Bleiben wir gespannt. 🙂 Das Buch erscheint am 23. August im dtv Verlag, hat 352 Seiten und kostet 22,00 €. Inzwischen gelesen und rezensiert!) […]

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  2. Liebe Hannah,

    diesen Roman kannte ich noch gar nicht. Call me by your Name habe ich leider immer noch nicht gelesen. Irgendwie vergesse ich es immer, auch wenn das vielleicht komisch klingen mag. Es ist ein Buch, das so present ist, dass ich stets denke: Ach, das kennst du ja. Und dann fällt mir ein: Oh, stimmt gar nicht! Diesen Roman werde ich mir ebenfalls vormerken und hoffe, dass ich mich in seinen Schreibstil genauso verlieben werde.

    Alles Liebe,
    Sarah

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    • Liebe Sarah,

      hach, das was du da beschreibst, ist mir ewig lang mit „Love, Simon“ so gegangen, bevor ich es nach Jahren endlich gelesen habe. 😀 Ich dachte immer, ich kenn das ja schon, weil ich so viel darüber gehört hatte. Deshalb hast du mir damit gerade einen kleinen Lacher über mich selbst entlockt, weil ich das echt gut verstehen kann. 😀 Ich hoffe natürlich, dass dich der Autor mit seinen Büchern auch irgendwie berühren kann, wenn du sie dann tatsächlich liest. 🙂

      Liebe Grüße, Hannah

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